27.
07.21

Eine eisige Familientradition

Rollende Eisdielen aus Oberhausen versüßen den Alltag seit über 100 Jahren

Was kommt alles rein in sein Schokoeis? Kristoffer Krenz lässt sich keine Details entlocken. Schließlich ist das Rezept ein Familiengeheimnis, das seit über 100 Jahren streng gehütet wird. Nur so viel: „Wir verwenden ausschließlich natürliche Zutaten, keine Konservierungsstoffe oder künstliche Aromen.“ Gleich mehrere Generationen von Schleckermäulern schwören auf die Nascherei von Schmalhaus Eis. In normalen Zeiten ist die Familie mit ihren zwei Wagen ein gern gesehener Gast auf Kirmessen, Volksfesten und Weihnachtsmärkten. Zu Corona-Zeiten hat die Familie aus der Not einer Tugend gemacht. Die rollende Eisdiele konnte – fest stationiert – über Monate hinweg ihre Leckereien vor dem Technischen Rathaus in Oberhausen-Sterkrade verkaufen.

„Wir sind der Stadt Oberhausen sehr dankbar für diese Möglichkeit – bereits im Sommer 2020 und jetzt erneut. Sonst hätten wir über anderthalb Jahre wohl gar keinen Umsatz gemacht“, berichtet Kristoffer Krenz weiter. In sechster Generation führte er die Familientradition fort. „Ich bin quasi damit großgeworden. Mit 12 habe ich bereits mein erstes Eis gemacht. Und mit 18 bin ich zur Bank, um einen Kredit für einen eigenen Wagen zu beantragen.“ 

Gut 50 Veranstaltungen besucht der Eismacher mit seinem eingeschworenen Team pro Jahr, bis zu 250 Tage sind sie jedes Jahr unterwegs. Ein echter Knochenjob mit langen Arbeitstagen und vielen stressigen Momenten. Schließlich kommt nichts aus dem Froster, alles wird frisch zubereitet. Ohne Fertigmischungen oder Zusätze, dafür mit traditionellem Handwerk und viele Liebe. Fünf original italienische Eismaschinen laufen dann unentwegt. „Wir produzieren stündlich nach, direkt vor den Augen unserer Kunden. Den Unterschied schmeckt man“, ist Krenz überzeugt.

Die Kunden, die Schmalhaus Eis oft seit Kindertagen kennen, stimmen sofort zu. Ein Eis schon zum Frühstück, um kurz nach 11 Uhr? Wieso eigentlich nicht! Stammkunde Wolfgang Mölder lässt sich seine Lieblingswaffel servieren. Für die süße Abkühlung ist er eigens aus Dorsten nach Sterkrade gefahren. „Mit 10 oder 11 habe ich bei Schmalhaus schon mein erstes Eis gegessen“, berichtet der 62-Jährige: „Und heute schmeckt es mir sogar noch besser.“

Für Krenz ist es immer bewegend zu sehen, dass die Eistradition seiner Familie viele Menschen über Generationen begleitet. „Neulich war eine ältere Dame hier, die uns schon als kleines Mädchen kannte. Jetzt hat sie ihrem Urenkel ein Eis spendiert – einfach unglaublich.“ Eine Ehrensache ist es daher für den Familienbetrieb, dass an den Rezepturen seit eh und je nichts geändert wird. Tradition wird eben großgeschrieben, auch bei der Auswahl. Vier Sorten stehen auf der Karte: Sahne, Erdbeere, Schoko und Nuss – mehr nicht. „Unsere Kunden wünschen sich das genauso, klassisch und ohne Firlefanz“, erklärt Kristoffer Krenz weiter. Nur zur Adventszeit macht er eine Ausnahme, dann stehen neben den Klassikern auch Geschmacksrichtungen wie Marzipan, Spekulatius oder Zimt hoch im Kurs.

Die Anfänge dieser eisigen Familientradition reichen sogar mehr als 160 Jahre zurück: Im Jahr 1860 gründete Wilhelm Schmalhaus eine Konditorei in Oberhausen-Buschhausen und belieferte vornehmlich Cafés. Sein Sohn Hermann Schmalhaus konzentrierte sich gemeinsam mit Ehefrau Anna und den gemeinsamen sechs Söhnen ab etwa 1900 mit einem eigenen Verkaufswagen auf Volksfeste. Knusprige Waffeln, Mutzen und saftige Berliner waren schon damals ein Renner. Zum echten Verkaufsschlager wurde dann aber das selbstzubereitete Eis.

Der Familienbetrieb hat alle Hochs und Tiefs des Jahrhunderts miterlebt, alte Fotos erzählen auch von der technischen Weiterentwicklung. Zu Beginn waren große, kaum zu bewegende Eisblöcke notwendig, um die Zutaten von außen in einem Fass herunterzukühlen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Konditorei fast vollständig zerstört. Wilhelm Schmalhaus fasste sich ein Herz und wagte direkt nach Kriegsende einen Neuanfang – ohne Backwaren, nur noch mit dem allseits beliebten Speiseeis. In den Jahren des Wiederaufbaus musste so einiges improvisiert werden, weiß Kristoffer Krenz zu berichten: „Zutaten für Waffeln waren wohl nicht immer zu beschaffen. Also wurde das Eis kurzerhand zum Abschlecken auf einem Bogen Papier verkauft.“

Heute haben die Kunden selbstredend die Wahl – Hörnchen oder Becher, das ist für wahre Eiskenner eine Glaubensfrage. Zwei rollende Eisdielen sorgen normalerweise bei Veranstaltungen in ganz Nordrhein-Westfalen für süßen Nachschub. „Tradition trifft Moderne“ so könnte das Motto für die liebevolle Dekoration lauten. Die Bemalung im Jugendstil, romantische Erker und 2.000 Glühbirne für eine stimmungsvolle Beleuchtung vermitteln echtes Jahrmarkt-Flair. Selbst an einem normalen Freitagvormittag vor dem Technischen Rathaus in Sterkrade. 

Nach diesem Domizil über mehrere Monate hinweg ist für den gesamten August das Sterkrader Sommervergnügen auf dem Hirschberg geplant. Wie es danach weitergeht mit dem rollenden Geschäft? „Ich hoffe, bald wieder zu ersten Volksfesten und vielleicht zum Jahresende auch zu Weihnachtsmärkten fahren zu können“, so Kristoffer Krenz. „Eis schafft schließlich kleine Glücksmomente im Alltag. Und die können wir in den heutigen Zeiten doch ganz besonders gebrauchen.“

Quelle: www.lotto.de

Text: Oliver Schönfeld